Ludwig Feuerbach

Ludwig Andreas Feuerbach
* 28.07.1804 in Landshut
† 13.09.1872 in Rechenberg b. Nürnberg
war ein bedeutender deutscher Philosoph, der vor allem durch seine Kritik an der Religion und seinen Einfluss auf den atheistischen Humanismus bekannt wurde. In seinem Hauptwerk “Das Wesen des Christentums” argumentierte er, dass Gott eine Projektion menschlicher Eigenschaften sei, und betonte die Bedeutung der menschlichen Sinnlichkeit und Natur. Seine Ideen beeinflussten maßgeblich die spätere Philosophie, insbesondere Karl Marx, der Feuerbachs materialistische Perspektive in seine eigene Theorie übernahm.

Feuerbach studierte ab 1823 in Heidelberg bei dem Hegelianer K. Daub Theologie, 1824-26 in Berlin bei Hegel selbst Philosophie. 1825 ging er ganz zur Philosophie über. 1828 promovierte er in Erlangen und habilitierte sich dort im gleichen Jahr mit der nur wenig umgearbeiteten Dissertation, die als Habilitationsschrift den Titel trug „De ratione una, universali, infinita“. Diese sowie eine spätere Schrift, „Kritik des Anti-Hegel“ (1835), eine Auseinandersetzung mit C. F. Bachmann, bezeugen Feuerbachs gründliches Hegel-Verständnis. 1830 veröffentlichte er eine anonyme Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ mit einem Anhang: „Satirisch-theologische Distichen“. Daß er In dieser Schrift die persönliche Unsterblichkeit leugnete, entschied über seine fernere Zukunft: dreimal bewarb er sich vergeblich um eine außerordentliche Professur. Auch Versuche, durch V. Cousin eine Stellung in Paris zu finden, scheiterten, ebenso Bemühungen um einen Lehrstuhl in Bern oder eine passende Tätigkeit in Griechenland. Da ihm die akademische Lehrtätigkeit ohnedies nicht zusagte, zog er sich 1836 endgültig von der Universität zurück. Auf Schloss Bruckberg bei Ansbach, wo seine Frau Mitbesitzerin einer ererbten Porzellanfabrik war, führte er ab 1837 ein stilles, genügsames Leben. Hier schrieb er „Das Wesen des Christentums“ (1841) und die selbständigen philosophischen Werke der 40er Jahre: „Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie“ (1842); „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ (1843). Durch A. Rüge, G. Herwegh, Christian Kapp, K. Marx mit den revolutionären Bewegungen vor und nach 1848 verbunden, hielt er sich doch von der Tagespolitik fern. Im Revolutionsjahr hielt er auf Einladung von Studenten öffentliche Vorlesungen im Heidelberger Rathaus (Wintersemester 1848/49). Der Physiologe J. Moleschott und der Dichter Gottfried Keller zählten zu seinen Hörern.

Der Zweck meiner Schriften … ist: die Menschen aus Theologen zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus religiösen und politischen Kammerdienern der himmlischen und irdischen Monarchie und Aristokratie zu freien, selbstbewussten Bürgern der Erde zu machen.
“Vorlesungen über das Wesen der Religion” (1848/49)

1860 zwang ihn der Bankrott der Porzellanfabrik zur Übersiedlung nach Rechenberg. Dort lebte er unter ungünstigen Verhältnissen, zum Teil auf Spenden angewiesen, die unter anderem die Sozialdemokratische Partei für ihn sammelte, bis zu seinem Tode.

In seiner Philosophie geht Feuerbach davon aus, dass der Geist der Neuzeit die Auflösung der Theologie sei, – in der Naturwissenschaft praktisch, durch ihren von theologischen Rücksichten befreiten Empirismus; im Protestantismus religiös-praktisch, durch die Verlagerung des Interesses von Gott-an-sich auf den Gott-für-uns, Christus, den menschgewordenen Gott; im Deutschen Idealismus theoretisch: Hegels Logik erfasst die metaphysischen Wesensbestimmungen Gottes, die im Laufe der Geschichte hervorgetreten sind, als die Kategorien des Denkens selbst. Was im Theismus Objekt ist, – das gedachte Wesen der Vernunft, – das ist in der spekulativen Philosophie Subjekt, – das denkende Wesen der Vernunft: durch diese Subjektivierung Gottes wird seine Jenseitigkeit aufgelöst, allerdings nur erst „im Kopf“. Der absolute Geist der Hegelschen Logik ist seinerseits noch ein Jenseits gegenüber dem wirklichen Menschen; darin bezeugt sich die Herkunft der idealistischen Philosophie aus der christlichen Theologie. Es gilt nun, diesen Auflösungsprozess kritisch zu vollenden und Gottes Jenseitigkeit auch „im Herzen“ aufzulösen. Feuerbachs Anliegen ist die Aufhebung aller Theologie und metaphysischen Philosophie in Anthropologie. In aller Religion sieht Feuerbach eine Selbstentfremdung des Menschen: was als Gott vorgestellt wird, ist nur die Personifizierung unserer eigenen Wesensakte, die dabei von den Schranken, die ihnen in jedem Individuum anhaften, befreit werden, und so – als All-Wissen, All-Macht und so weiter – einem höheren Wesen als dessen Akte zugeschrieben werden. In Wahrheit haben die Menschen mit dieser Entschränkung des konkreten Denkens, Fühlens und so weiter zum „actus purus“ zwar sich als Individuen, nicht aber die Allgemeinheit der menschlichen Gattung überschritten. Aber das durchschauen sie zunächst nicht. Die Spannung zwischen dem endlichen „Ich“ des Einzelnen und dem unendlich-überindividuellen „Wir“ der Gattung wird vielmehr vergegenständlicht zur Spannung zwischen dem menschlichen „Ich“ und dem göttlichen „Du“, an das sich der Mensch in Liebe hingibt. In solcher religiösen Vergegenständlichung der Gattung liegt freilich eine tiefe anthropologische Wahrheit verborgen, – eine Wahrheit, die die spekulative Philosophie mit ihrer Umwandlung des gefühlten göttlichen Du in die Allgemeinheit des Denkens nicht festzuhalten vermochte – die Wahrheit nämlich, dass der Mensch nicht nur ein Ich ist, sondern immer schon Ich und Du; dass er ein Sinnenwesen und darum auf Gegenstände angewiesen ist; und dass er schon durch den Geschlechtsunterschied auf ein mitmenschliches Du verwiesen ist, mit welchem zusammen er in der (Gatten-)Liebe die Gattung schon fühlt und leibhaftig vollbringt, bevor er Gattungen im Sinne von Allgemeinbegriffen in gedanklicher Abstraktion aus der Totalität des Lebens herauslöst.

Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft,
in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten.
“Grundsätze der Philosophie der Zukunft” (1843)

Auf dem Umweg über die religiöse Selbstentfremdung und ihre Aufhebung kommt der Mensch zur Bejahung seiner selbst als Sinnenwesen. – Wenn Feuerbach somit den Sensualismus erneuert, so fällt ihm dabei die Aufgabe zu, zu erklären, wieso ein solches Sinnenwesen wie der Mensch überhaupt dazu kommt, seine sinnliche Unmittelbarkeit theologisch und logisch zu transzendieren, anstatt bei der sinnlichen Gewissheit, die das Prinzip der Philosophie der Zukunft sein soll, von vornherein einfach stehen zu bleiben; besaß er sie doch schon immer. Feuerbach löst diese Aufgabe, indem er an die Stelle des alten Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Geist einen anderen Unterschied setzt: den durchgängigen Unterschied zwischen tierischer, beziehungsweise roher Sinnlichkeit und menschlicher, wahrhaft humaner Sinnlichkeit. In Fortführung des anthropologischen Ansatzes eines J. G. Herder sieht Feuerbach die menschliche Sinnlichkeit durchwaltet von Bewusstsein und Freiheit. Die Freiheit von den Trieben ermöglicht Bewusstsein insofern, als der Mensch sich nicht unmittelbar auf die einzelnen Gegenstände seines jeweiligen Fühlens und Wollens stürzt; indem er vielmehr dies oder jenes fühlt und will, fühlt er zugleich auch sein Gefühl und will er auch seinen Willen entfalten. Auf Grund dieses Selbstbezuges, auf den die Sinnlichkeit des Menschen angelegt ist, weiß der Mensch in jedem besonderen Bezug zugleich um sich als Allgemeines, als Gattungswesen, sowie auch um die Gattungen der Dinge. Auf die so verstandene humane Sinnlichkeit lässt sich nun die Hegelsche Geschichtsauffassung anwenden: Geschichte als Weg der Selbst-Werdung, jedoch nicht des Geistes, sondern des Menschen. Wie der Geist in Hegels Geschichtsmetaphysik nicht von vornherein da ist, sondern erarbeitet werden, beziehungsweise sich herausarbeiten muss, so ist auch der Mensch als wahrhaft menschliches Naturwesen nicht von vornherein da. Religion und Metaphysik sind umwegige Stadien im Selbstunterscheidungsprozess der humanen von der inhumanen Natur. Das wahrhaft Menschliche ist das Göttliche: erst wenn der Mensch dies bis in seine naturhafte Sphäre, in Leiblichkeit und Sinnlichkeit hinein, begriffen hat, kann er sich als Naturwesen fühlen. Die Geschichte ist der Umweg des Menschen zu seiner eigenen Natur und damit zugleich zur Natur überhaupt.

Je mehr das Sinnliche verneint wird, desto sinnlicher ist der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird.
“Das Wesen des Christentums” (1848)

Die Wirkung Feuerbachs war zwiespältig: Feuerbachs kritische Arbeiten schlugen bei den Zeitgenossen durch, aber seinem positiven Ansatz blieb größere Anerkennung versagt. Die Selbstbestätigung des Menschen in seiner Sinnlichkeit als Resultat der gesamten Religions- und Geistesgeschichte: das wirkte wie der enttäuschend banale Schluß eines gewaltigen Dramas. K. Marx und K. Barth, die Feuerbachs kritische Ergebnisse übernahmen, kamen zu einer dialektischen Fortführung. Was bei Feuerbach Objekt sinnlicher Anschauung ist, wird von Marx als Vergegenständlichung sinnlich-materieller Tätigkeit gefasst; Feuerbachs Uminterpretation von Religion und Metaphysik in Anthropologie wird von Marx weitergeführt zur Forderung einer Veränderung und Humanisierung der Welt selbst, durch die dem Bedürfnis nach Religion und Metaphysik die materielle Basis entzogen werden soll (dialektischer Materialismus). Feuerbachs Auflösung der Religion in ihren Gefühlsgrund hinein wird für K. Barth zum Anlass eines Neuverständnisses des Wortes Gottes: als das „ganz Andere“ steht es im Angriff auf alle Religion und Metaphysik samt ihrem menschlichen Gefühlsgrund (dialektische Theologie).

Text:
Schulz, Ruth-Eva, “Feuerbach, Ludwig” in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 113-114 [Online-Version]
Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE

Das Wesen des Christentums (1841)

gilt als eine der wichtigsten Schriften zur Religionsphilosophie des 19. Jahrhunderts. Feuerbach beschreibt darin seine Projektionstheorie Gottes und sein Verständnis von Humanismus und Christentum.

Ich bin, ist Sache des Herzens, ich denke – Sache des Kopfes. Cogito ergo sum? Nein, sentio ergo sum. Fühlen ist nur mein Sein. Denken ist mein Nichtsein, Denken ist die Position der Gattung, die Vernunft das Nichts der Persönlichkeit.”

lesen bei Zeno

Grundsätze der Philosophie der Zukunft (1843)

In dieser Schrift setzt sich Feuerbach mit der Hegelschen Systemphilosophie auseinander.

Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du.

lesen bei Zeno

Vorlesungen über das Wesen der Religion (1851)

Sie sind von zentraler Bedeutung, da sie die menschliche Projektionstheorie der Religion vorstellen, welche besagt, dass Gott und religiöse Vorstellungen menschliche Erfindungen sind, die die Ideale und Wünsche der Menschen widerspiegeln.

Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heißt, sondern der Mensch schuf, wie ich im »Wesen des Christentums« zeigte, Gott nach seinem Bilde.

lesen bei MDZ

Theogonie
nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums (1857)

Feuerbach selbst hielt sein Spätwerk für seine “einfachste, vollendetste, reifste Schrift”. Es fand jedoch zu seiner Zeit wenig Resonanz.

“Der Mensch ist das im Willen, das in der Hoffnung, Gott das in der Tat, in Wirklichkeit selige Wesen; der Mensch der verlangende, Gott der befriedigte Glückseligkeitstrieb; der Mensch der Seligkeitswunsch, Gott der Erfüller, richtiger: das Erfülltsein dieses Wunsches.”

lesen bei Google Books

Gedenkmedaille DDR 1972
10-Mark-Münze DDR 1979
Briefmarke Deutschland 2004
Gedenktafel von Friedrich Zadow, Nürnberg 1906
Medaille von Friedrich Zadow, Nürnberg 1906
Kenotaph, Nürnberg-Rechenberg 1930 (wiedererrichtet 1955)
Gedenkstein in Erlangen

In Nürnberg wurde 1875 eine Straße nach Ludwig Feuerbach benannt.
2001 benannte die Stadt Erlangen einen Platz nach ihm, wo auch der abgebildete Gedenkstein steht.
Auch in Cottbus, Gera und Halle gibt es nach Feuerbach benannte Straßen.
Der Augsburger Bund für Geistesfreiheit vergibt ihm zu Ehren seit 2001 den Ludwig-Feuerbach-Preis.

Bildnachweis
Gedenktafel: Aarp65 (CC BY-SA 4.0)
Kenotaph: ©️ Helmut Walther, Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft
Gedenkstein: Janericloebe (CC BY 3.0)

Der Mensch schuf Gott
nach seinem Bilde
Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen.
Der Mensch ist, was er isst.
Gemälde von J.C.H. Sporleder (1754)

Ludwig Andreas Feuerbach
* 28.07.1804 in Landshut
† 13.09.1872 in Rechenberg b. Nürnberg

war ein bedeutender deutscher Philosoph, der vor allem durch seine Kritik an der Religion und seinen Einfluss auf den atheistischen Humanismus bekannt wurde. In seinem Hauptwerk “Das Wesen des Christentums” argumentierte er, dass Gott eine Projektion menschlicher Eigenschaften sei, und betonte die Bedeutung der menschlichen Sinnlichkeit und Natur. Seine Ideen beeinflussten maßgeblich die spätere Philosophie, insbesondere Karl Marx, der Feuerbachs materialistische Perspektive in seine eigene Theorie übernahm.

Feuerbach studierte ab 1823 in Heidelberg bei dem Hegelianer K. Daub Theologie, 1824-26 in Berlin bei Hegel selbst Philosophie. 1825 ging er ganz zur Philosophie über. 1828 promovierte er in Erlangen und habilitierte sich dort im gleichen Jahr mit der nur wenig umgearbeiteten Dissertation, die als Habilitationsschrift den Titel trug „De ratione una, universali, infinita“. Diese sowie eine spätere Schrift, „Kritik des Anti-Hegel“ (1835), eine Auseinandersetzung mit C. F. Bachmann, bezeugen Feuerbachs gründliches Hegel-Verständnis. 1830 veröffentlichte er eine anonyme Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ mit einem Anhang: „Satirisch-theologische Distichen“. Daß er In dieser Schrift die persönliche Unsterblichkeit leugnete, entschied über seine fernere Zukunft: dreimal bewarb er sich vergeblich um eine außerordentliche Professur. Auch Versuche, durch V. Cousin eine Stellung in Paris zu finden, scheiterten, ebenso Bemühungen um einen Lehrstuhl in Bern oder eine passende Tätigkeit in Griechenland. Da ihm die akademische Lehrtätigkeit ohnedies nicht zusagte, zog er sich 1836 endgültig von der Universität zurück. Auf Schloss Bruckberg bei Ansbach, wo seine Frau Mitbesitzerin einer ererbten Porzellanfabrik war, führte er ab 1837 ein stilles, genügsames Leben. Hier schrieb er „Das Wesen des Christentums“ (1841) und die selbständigen philosophischen Werke der 40er Jahre: „Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie“ (1842); „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ (1843). Durch A. Rüge, G. Herwegh, Christian Kapp, K. Marx mit den revolutionären Bewegungen vor und nach 1848 verbunden, hielt er sich doch von der Tagespolitik fern. Im Revolutionsjahr hielt er auf Einladung von Studenten öffentliche Vorlesungen im Heidelberger Rathaus (Wintersemester 1848/49). Der Physiologe J. Moleschott und der Dichter Gottfried Keller zählten zu seinen Hörern.

Der Zweck meiner Schriften … ist:
die Menschen aus Theologen zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus religiösen und politischen Kammerdienern der himmlischen und irdischen Monarchie und Aristokratie zu freien, selbstbewussten Bürgern der Erde zu machen.
“Vorlesungen über das Wesen der Religion” (1848/49)

1860 zwang ihn der Bankrott der Porzellanfabrik zur Übersiedlung nach Rechenberg. Dort lebte er unter ungünstigen Verhältnissen, zum Teil auf Spenden angewiesen, die unter anderem die Sozialdemokratische Partei für ihn sammelte, bis zu seinem Tode.

In seiner Philosophie geht Feuerbach davon aus, dass der Geist der Neuzeit die Auflösung der Theologie sei, – in der Naturwissenschaft praktisch, durch ihren von theologischen Rücksichten befreiten Empirismus; im Protestantismus religiös-praktisch, durch die Verlagerung des Interesses von Gott-an-sich auf den Gott-für-uns, Christus, den menschgewordenen Gott; im Deutschen Idealismus theoretisch: Hegels Logik erfasst die metaphysischen Wesensbestimmungen Gottes, die im Laufe der Geschichte hervorgetreten sind, als die Kategorien des Denkens selbst. Was im Theismus Objekt ist, – das gedachte Wesen der Vernunft, – das ist in der spekulativen Philosophie Subjekt, – das denkende Wesen der Vernunft: durch diese Subjektivierung Gottes wird seine Jenseitigkeit aufgelöst, allerdings nur erst „im Kopf“. Der absolute Geist der Hegelschen Logik ist seinerseits noch ein Jenseits gegenüber dem wirklichen Menschen; darin bezeugt sich die Herkunft der idealistischen Philosophie aus der christlichen Theologie. Es gilt nun, diesen Auflösungsprozess kritisch zu vollenden und Gottes Jenseitigkeit auch „im Herzen“ aufzulösen. Feuerbachs Anliegen ist die Aufhebung aller Theologie und metaphysischen Philosophie in Anthropologie. In aller Religion sieht Feuerbach eine Selbstentfremdung des Menschen: was als Gott vorgestellt wird, ist nur die Personifizierung unserer eigenen Wesensakte, die dabei von den Schranken, die ihnen in jedem Individuum anhaften, befreit werden, und so – als All-Wissen, All-Macht und so weiter – einem höheren Wesen als dessen Akte zugeschrieben werden. In Wahrheit haben die Menschen mit dieser Entschränkung des konkreten Denkens, Fühlens und so weiter zum „actus purus“ zwar sich als Individuen, nicht aber die Allgemeinheit der menschlichen Gattung überschritten. Aber das durchschauen sie zunächst nicht. Die Spannung zwischen dem endlichen „Ich“ des Einzelnen und dem unendlich-überindividuellen „Wir“ der Gattung wird vielmehr vergegenständlicht zur Spannung zwischen dem menschlichen „Ich“ und dem göttlichen „Du“, an das sich der Mensch in Liebe hingibt. In solcher religiösen Vergegenständlichung der Gattung liegt freilich eine tiefe anthropologische Wahrheit verborgen, – eine Wahrheit, die die spekulative Philosophie mit ihrer Umwandlung des gefühlten göttlichen Du in die Allgemeinheit des Denkens nicht festzuhalten vermochte – die Wahrheit nämlich, dass der Mensch nicht nur ein Ich ist, sondern immer schon Ich und Du; dass er ein Sinnenwesen und darum auf Gegenstände angewiesen ist; und dass er schon durch den Geschlechtsunterschied auf ein mitmenschliches Du verwiesen ist, mit welchem zusammen er in der (Gatten-)Liebe die Gattung schon fühlt und leibhaftig vollbringt, bevor er Gattungen im Sinne von Allgemeinbegriffen in gedanklicher Abstraktion aus der Totalität des Lebens herauslöst.

Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft,
in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten.
“Grundsätze der Philosophie der Zukunft” (1843)

Auf dem Umweg über die religiöse Selbstentfremdung und ihre Aufhebung kommt der Mensch zur Bejahung seiner selbst als Sinnenwesen. – Wenn Feuerbach somit den Sensualismus erneuert, so fällt ihm dabei die Aufgabe zu, zu erklären, wieso ein solches Sinnenwesen wie der Mensch überhaupt dazu kommt, seine sinnliche Unmittelbarkeit theologisch und logisch zu transzendieren, anstatt bei der sinnlichen Gewissheit, die das Prinzip der Philosophie der Zukunft sein soll, von vornherein einfach stehen zu bleiben; besaß er sie doch schon immer. Feuerbach löst diese Aufgabe, indem er an die Stelle des alten Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Geist einen anderen Unterschied setzt: den durchgängigen Unterschied zwischen tierischer, beziehungsweise roher Sinnlichkeit und menschlicher, wahrhaft humaner Sinnlichkeit. In Fortführung des anthropologischen Ansatzes eines J. G. Herder sieht Feuerbach die menschliche Sinnlichkeit durchwaltet von Bewusstsein und Freiheit. Die Freiheit von den Trieben ermöglicht Bewusstsein insofern, als der Mensch sich nicht unmittelbar auf die einzelnen Gegenstände seines jeweiligen Fühlens und Wollens stürzt; indem er vielmehr dies oder jenes fühlt und will, fühlt er zugleich auch sein Gefühl und will er auch seinen Willen entfalten. Auf Grund dieses Selbstbezuges, auf den die Sinnlichkeit des Menschen angelegt ist, weiß der Mensch in jedem besonderen Bezug zugleich um sich als Allgemeines, als Gattungswesen, sowie auch um die Gattungen der Dinge. Auf die so verstandene humane Sinnlichkeit lässt sich nun die Hegelsche Geschichtsauffassung anwenden: Geschichte als Weg der Selbst-Werdung, jedoch nicht des Geistes, sondern des Menschen. Wie der Geist in Hegels Geschichtsmetaphysik nicht von vornherein da ist, sondern erarbeitet werden, beziehungsweise sich herausarbeiten muss, so ist auch der Mensch als wahrhaft menschliches Naturwesen nicht von vornherein da. Religion und Metaphysik sind umwegige Stadien im Selbstunterscheidungsprozess der humanen von der inhumanen Natur. Das wahrhaft Menschliche ist das Göttliche: erst wenn der Mensch dies bis in seine naturhafte Sphäre, in Leiblichkeit und Sinnlichkeit hinein, begriffen hat, kann er sich als Naturwesen fühlen. Die Geschichte ist der Umweg des Menschen zu seiner eigenen Natur und damit zugleich zur Natur überhaupt.

Je mehr das Sinnliche verneint wird,
desto sinnlicher ist der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird.
“Das Wesen des Christentums” (1848)

Die Wirkung Feuerbachs war zwiespältig: Feuerbachs kritische Arbeiten schlugen bei den Zeitgenossen durch, aber seinem positiven Ansatz blieb größere Anerkennung versagt. Die Selbstbestätigung des Menschen in seiner Sinnlichkeit als Resultat der gesamten Religions- und Geistesgeschichte: das wirkte wie der enttäuschend banale Schluß eines gewaltigen Dramas. K. Marx und K. Barth, die Feuerbachs kritische Ergebnisse übernahmen, kamen zu einer dialektischen Fortführung. Was bei Feuerbach Objekt sinnlicher Anschauung ist, wird von Marx als Vergegenständlichung sinnlich-materieller Tätigkeit gefasst; Feuerbachs Uminterpretation von Religion und Metaphysik in Anthropologie wird von Marx weitergeführt zur Forderung einer Veränderung und Humanisierung der Welt selbst, durch die dem Bedürfnis nach Religion und Metaphysik die materielle Basis entzogen werden soll (dialektischer Materialismus). Feuerbachs Auflösung der Religion in ihren Gefühlsgrund hinein wird für K. Barth zum Anlass eines Neuverständnisses des Wortes Gottes: als das „ganz Andere“ steht es im Angriff auf alle Religion und Metaphysik samt ihrem menschlichen Gefühlsgrund (dialektische Theologie).

Text:
Schulz, Ruth-Eva, “Feuerbach, Ludwig” in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 113-114 [Online-Version]
Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE
(Zitate wurden von der Redaktion eingefügt)

Das Wesen des Christentums (1841)

gilt als eine der wichtigsten Schriften zur Religionsphilosophie des 19. Jahrhunderts. Feuerbach beschreibt darin seine Projektionstheorie Gottes und sein Verständnis von Humanismus und Christentum.

Ich bin, ist Sache des Herzens, ich denke – Sache des Kopfes. Cogito ergo sum? Nein, sentio ergo sum. Fühlen ist nur mein Sein. Denken ist mein Nichtsein, Denken ist die Position der Gattung, die Vernunft das Nichts der Persönlichkeit.”

lesen bei Zeno

Grundsätze der Philosophie der Zukunft (1843)

In dieser Schrift setzt sich Feuerbach mit der Hegelschen Systemphilosophie auseinander.

Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du.

lesen bei Zeno

Vorlesungen über das Wesen der Religion (1851)

Sie sind von zentraler Bedeutung, da sie die menschliche Projektionstheorie der Religion vorstellen, welche besagt, dass Gott und religiöse Vorstellungen menschliche Erfindungen sind, die die Ideale und Wünsche der Menschen widerspiegeln.

Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heißt, sondern der Mensch schuf, wie ich im »Wesen des Christentums« zeigte, Gott nach seinem Bilde.

lesen bei MDZ

Theogonie
nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums (1857)

Feuerbach selbst hielt sein Spätwerk für seine “einfachste, vollendetste, reifste Schrift”. Es fand jedoch zu seiner Zeit wenig Resonanz.

“Der Mensch ist das im Willen, das in der Hoffnung, Gott das in der Tat, in Wirklichkeit selige Wesen; der Mensch der verlangende, Gott der befriedigte Glückseligkeitstrieb; der Mensch der Seligkeitswunsch, Gott der Erfüller, richtiger: das Erfülltsein dieses Wunsches.”

lesen bei Google Books

Gedenkmedaille DDR 1972
10-Mark-Münze DDR 1979
Briefmarke Deutschland 2004
Gedenktafel von Friedrich Zadow, Nürnberg 1906
Medaille von Friedrich Zadow, Nürnberg 1906
Kenotaph, Nürnberg-Rechenberg 1930 (wiedererrichtet 1955)
Gedenkstein in Erlangen

In Nürnberg wurde 1875 eine Straße nach Ludwig Feuerbach benannt.
2001 benannte die Stadt Erlangen einen Platz nach ihm, wo auch der abgebildete Gedenkstein steht.
Auch in Cottbus, Gera und Halle gibt es nach Feuerbach benannte Straßen.
Der Augsburger Bund für Geistesfreiheit vergibt ihm zu Ehren seit 2001 den Ludwig-Feuerbach-Preis.

Bildnachweis
Gedenktafel: Aarp65 (CC BY-SA 4.0)
Kenotaph: ©️ Helmut Walther, Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft
Gedenkstein: Janericloebe (CC BY 3.0)

Dieses Exponat entstand mit freundlicher Unterstützung durch die Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg e.V..

Gehe weiter zu

Empfangshalle

Wegweiser

Themen und Objekte