Hypatia und das Ende der antiken Philosophie

imaginäre Darstellung von Elbert Hubbard (1908)

Hypatia von Alexandria war eine herausragende Philosophin, Mathematikerin und Astronomin der spätantiken Welt. Ihr Vater, Theon von Alexandria, war ebenfalls ein angesehener Mathematiker und Astronom und spielte eine wesentliche Rolle in ihrer Ausbildung.

Hypatia war bekannt für ihre außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten und ihre Lehrtätigkeit in der Philosophie. Sie lehrte an der neuplatonischen Schule in Alexandria, wo sie eine bedeutende Anhängerschaft gewann. Ihre Vorlesungen umfassten eine breite Palette von Themen, darunter Mathematik, Astronomie und Philosophie, und sie schrieb mehrere Kommentare zu den Werken großer Mathematiker wie Diophant und Apollonius. Ihre Arbeiten über den Kegelschnitt, die als Kommentare zu Apollonius’ Werk dienten, zeugen von ihrem tiefen Verständnis der Mathematik.

In der Philosophie war Hypatia eine Anhängerin des Neuplatonismus, einer philosophischen Strömung, die von Plotin begründet wurde und stark von Platons Ideen beeinflusst war. Sie trug dazu bei, diese Lehren zu verbreiten und zu interpretieren, und ihre philosophischen Diskurse zogen zahlreiche Schüler an, darunter auch bedeutende Persönlichkeiten wie Synesios von Kyrene, der später Bischof wurde.

Hypatias Leben und Wirken fanden in einer turbulenten Zeit statt, die von politischen und religiösen Spannungen geprägt war. Das Römische Reich war im Umbruch, und das Christentum gewann zunehmend an Einfluss, was oft zu Konflikten mit den traditionellen heidnischen und philosophischen Schulen führte. Hypatia, eine prominente Vertreterin der hellenistischen Gelehrsamkeit und des Neuplatonismus, geriet in den Strudel dieser Auseinandersetzungen.

Im März 415 wurde Hypatia von einem aufgebrachten Mob christlicher Fanatiker brutal ermordet. Ihr Tod wird oft als ein Akt der religiösen Intoleranz und der Zerstörung des intellektuellen Erbes der Antike betrachtet und mahnt an die Zerbrechlichkeit der intellektuellen Freiheit in Zeiten des Umbruchs.

Hypatia von Alexandria ist somit nicht nur eine historische Figur, sondern auch ein Symbol für die Macht und die Gefahren des Wissens. Ihre Geschichte inspiriert weiterhin Menschen, sich für Bildung, Toleranz und die Freiheit des Denkens einzusetzen.


Aus den letzten zeiten des kampfes zwischen der christlichen kirche und dem glauben an die alten götter tritt uns in Alexandria die erscheinung einer frau entgegen, welche ihres gleichen vergeblich sucht in der weltgeschichte, welche aus dem museum hervorgegangen, fast die gesammte heidnische wissenschaft, wenigstens in den mathematischen und philosophischen disciplinen, in sich zu vereinigen weiss und durch die macht ihrer erscheinung und ihres wortes dem christenthum und seinen vertretern in Alexandria so gefährlich wird oder zu werden droht, dass ein schmählicher mord die kämpfende kirche vor ihr schützen muss. Dieses weib ist Hypatia, die tochter Theons des mathematikers.

Hypatias Leben und Wirken, insbesondere ihre wissenschaftliche und philosophische Bedeutung werden von den Historikern durchaus kontrovers bewertet.
Wir beziehen uns hier auf Richard Hoche, der 1860, nach gründlicher Quellenprüfung, eine überzeugende Arbeit vorgelegt hat: “Hypatia die Tochter Theons“. Sehen wir uns einige Auszüge daraus an. (Die eigentümliche Schreibweise wurde original belassen.)

Alexandria war bald, nachdem es die residenz der Ptolemäer geworden, durch die grossartige liberalität dieser fürsten der mittelpunkt der wissenschaftlichen welt des alterthums geworden. Schon der erste Ptolemäus, des Lagus sohn, hatte an seinen hof eine reihe bedeutender gelehrten gezogen, hatte durch Demetrius Phalereus die bibliothek begründen lassen, welche später der stolz Alexandriens wurde, hatte wohl auch schon den grund gelegt zu dem museum, der fast alle wissenschaftlichen bestrebungen umfassenden reichsanstalt.

Das Museum (museion) von Alexandria gilt als eine der zentralen Institutionen der antiken Wissenschaft und Philosophie. Gegründet um 280 v. Chr., beherbergte das Museum die berühmte Bibliothek und bot ein akademisches Umfeld für Gelehrte. Die Alexandrinische Schule war bekannt für ihre interdisziplinären Ansätze, besonders in Mathematik, Astronomie, Medizin und Philosophie und ist mit großen Namen verbunden, wie Euklid und Plotin. Ihr Einfluss prägte das wissenschaftliche Denken weit über die Antike hinaus und legte Grundlagen für spätere Entwicklungen in Wissenschaft und Bildung.

Aus den letzten zeiten des kampfes zwischen der christlichen kirche und dem glauben an die alten götter tritt uns in Alexandria die erscheinung einer frau entgegen, welche ihres gleichen vergeblich sucht in der weltgeschichte, welche aus dem museum hervorgegangen, fast die gesammte heidnische wissenschaft, wenigstens in den mathematischen und philosophischen disciplinen, in sich zu vereinigen weiss und durch die macht ihrer erscheinung und ihres wortes dem christenthum und seinen vertretern in Alexandria so gefährlich wird oder zu werden droht, dass ein schmählicher mord die kämpfende kirche vor ihr schützen muss . Dieses weib ist Hypatia, die tochter Theons des mathematikers.

Hoche stellt fest, dass über Hypatias Leben und ihre Bedeutung unter den Historikern heftig gestritten wird, was vor allem an den wenigen Quellen liegt, auf die sich die Forschung stützen kann.

Nur mangelhafte kunde über die lebensverhältnisse Hypatia’s geben uns die quellen, lassen uns aber doch einen blick thun in den charakter der bedeutenden frau und in das drängen und treiben der stürmischen zeit, in welcher sie lebte und wirkte, und welcher sie erlag.

Hoches Darstellung erscheint deshalb überzeugend, weil er sich auf belegte Aussagen von Zeitzeugen stützt, insbesondere die des Sokrates Scholastikos und des Synesios von Kyrene.

Durch ihre weit bekannten talente , durch ihre für eine frau so ungewöhnliche bildung und nicht minder durch ihre körperliche schönheit wurde Hypatia sehr bald der mittelpunkt eines hochgebildeten kreises. Sie treibt mit denen , welche sie besuchen , philosophie und bald gehört es zum guten tone in Alexandria zu philosophiren, mit der philosophin umgang zu haben, welche allen ihren zeitgenossen an geist so weit überlegen war, welche selbst hochgestellten personen mit sicherheit entgegentrat und in der freundlichsten weise gern mit jedem sich unterhielt. Es wird uns ausdrücklich von ihr überliefert, dass sie im reden gar wohl erfahren und gewandt gewesen sei, dabei aber in ihrem auftreten sehr verständig und bürgerfreundlich , so dass nicht nur die ersten beamten der stadt sie häufig besuchten , sondern auch die ganze bürgerschaft sie mit ausgezeichneter hochachtung behandelte. Alle tugenden werden ihr nachgerühmt. Synesius erschöpft sich in ihrem lobe, Damascius und Sokrates preisen ihre keuschheit und bescheidenheit, die ihr um so höher angeschlagen wird , als von den vornehmsten kreisen ihr so mannigfache huldigungen entgegengebracht wurden.
Ihre vielen bekanntschaften scheinen sie bald in die öffentlichkeit gezogen zu haben, sie erschien selbst bisweilen in den versammlungen des rathes, der sie hoch ehrte; ,, sie scheute sich nicht, in der mitte einer versammlung von männern zu erscheinen, sagt Sokrates , denn alle hatten vor ihr ehrfurchtsvolle scheu und bewunderten sie.“

Besonders interessant ist die Überlieferung, dass sich Hypatia den Philosophenmantel anzog, einen traditionellen Umhang der Philosophen, der eigentlich Männern vorbehalten war, und damit auf die Straße ging, um öffentlich zu philosophieren. Auch in Raffaels Gemälde trägt die als Hypatia vermutete Frau diesen Mantel.

so warf auch Hypatia den mantel der philosophen um, ging mit demselben durch die strassen der stadt und trug öffentlich denen, welche zuhören wollten, die systeme des Platon, des Aristoteles und anderer philosophen vor.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie förmlich die leitung der neuplatonischen schule übernommen hat, wenigstens lässt der ausdruck des Sokrates, dass sie die von Plotinus gegründete schule übernommen habe, wohl kaum eine andere deutung zu. […] Ueber ihre thätigkeit als lehrerin und die art ihres verkehrs mit ihren schülern liegen uns ausser dem zeugnisse des Damascius bei Suidas, welcher ganz besonders ihr lehrgeschick hervorhebt, eine reihe der werthvollsten mittheilungen vor, in den schriften und besonders den briefen des Synesius, bischofs von Ptolemais aus Cyrene, des treuesten und bekanntesten ihrer schüler, der seine wissenschaftliche bildung fast allein dem unterrichte der Hypatia verdankt.

Aber nicht nur im philosophischen Bereich erwarb Hypatia sich außerordentliche Kenntnisse und Ansehen, ihre Kompetenzen lagen vor allem auch in Mathematik, Astronomie und anderen Wissenschaften.

Aus diesen mittheilungen des Synesius ergiebt sich bereits im allgemeinen , was Hypatia ihren schülern vorgetragen hat. Wenn sie auch als vorsteherin der neuplatonischen schule hauptsächlich die philosophischen systeme der aristotelischen und der eigenen schule zu lehren hatte , so scheint doch ihre hauptthätigkeit sich im gebiete der astronomie und mechanik bewegt zu haben, wie schon ihr vater hauptsächlich mechaniker gewesen war. […] Philostorgius sagt, sie habe ihren lehrer (d. h. ihren vater Theon ) übertroffen vorzüglich in der sternkunde; Hesychius spricht von ihren hervorragenden kenntnissen in der astronomie, ja Damascius setzt sie als eine nur die geometrie studirende frau ausdrücklich dem Isidorus gegenüber, als einem wirklichen philosophen. Jedenfalls waren also ihre mathematischen studien die vorwiegenden.

Einen großen Teil ihrer späteren Berühmtheit “verdankt” Hypatia allerdings den grausamen Umständen ihres Todes.

Ein trauriges ende war der frau vorbehalten, die Alexandria so grossen ruhm verliehen hatte, ein tod durch mörderhand, welcher der kirche und ihren dienern nicht geringen hass zuzog, da nicht nur geistliche bei dem verbrechen betheiligt waren, sondern auch die urheberschaft dem Cyrillus, dem bischofe von Alexandria zugeschoben wurde. […] Es ist uns zum guten glücke über den schmählichen mord der bericht des Socrates Scholasticus erhalten, welcher auch auf die tiefer liegenden ursachen ein licht wirft, indem er uns einen einblick in die zustände in Alexandria zu jener zeit eröffnet, zustände, deren verwirrung hauptsächlich durch die übergriffe der geistlichkeit und vor allen des Cyrillus hervorgerufen waren.

Als gesichert gilt, dass Hypatia im März des Jahres 415 von einem aufgebrachten Mob auf brutalste Weise massakriert wurde. Auf die möglichen Ursachen und historischen Zusammenhänge können wir an dieser Stelle nicht näher eingehen; sie werden von Hoche ausführlich beschrieben.

Mit ihr war der letzte glanz heidnischer wissenschaft erloschen; mit Hypatia‘s leben wurde auch der letzte rest des museums vernichtet; der ruhm, welcher durch mehr als sechs jahrhunderte die stadt der Ptolemäer geziert hatte, vermochte die christliche wissenschaft der hauptstadt Aegyptens nicht zu erhalten.

Die Ansicht einiger Historiker, Hypatia markiere das Ende der antiken Wissenschaft und Philosophie, ist in gewisser Weise berechtigt. Die zunehmende religiöse Dogmatisierung auf dem Weg ins Mittelalter schränkte die freie Forschung und Lehre immer mehr ein. Lediglich die Platonische Akademie in Athen hatte noch eine Weile Bestand und erlebte mit Proklos eine kurze Blütezeit. Da sich die Akademie den Dogmen der christlichen Lehre verweigerte, wurde sie auf Betreiben religiöser Kreise im Jahr 529 durch Kaiser Justinian geschlossen.

Zitate: “Richard Hoche. Hypatia die Tochter Theons” Philologus Band XV, Heft 3 (1860) – lesen bei google books


wann ich dich seh,
dein Wort vernehm,
bet ich dich an,
der hehren Jungfrau sternbedecktes Haus erblickend;
denn auf den Himmel nur erstreckt sich all dein Tun,
du jeder Rede Zier und Schmuck, Hypatia,
der höchsten Weisheit reiner, unbefleckter Stern!

Palladas
Hypatia-Statue von Emile Picault, Allée d’artistes Paris





Seit Jahrhunderten wird gestritten, welche Personen Raffael in seinem berühmten Fresco “Die Schule von Athen” darstellen wollte. Diese hier soll aber, nach weitgehender Übereinstimmung der Ansichten, Hypatia sein.

Hypatia. Gemälde von Charles William Mitchell (1885)


Die Figur der Hypatia wurde oft in der Belletristik verarbeitet. Besonders bekannt wurde sie durch Charles Kingsleys Roman “Hypatia or New Foes with an Old Face” von 1853.

Nach Hypatia sind der Asteroid (238) und ein Mondkrater benannt worden.

Hypatia
* um 360 † März 415
in Alexandria
war eine Wissenschaftlerin und Philosophin der griechischen Spätantike.

imaginäre Darstellung von Elbert Hubbard (1908)

Hypatia von Alexandria war eine herausragende Philosophin, Mathematikerin und Astronomin der spätantiken Welt. Ihr Vater, Theon von Alexandria, war ebenfalls ein angesehener Mathematiker und Astronom und spielte eine wesentliche Rolle in ihrer Ausbildung.

Hypatia war bekannt für ihre außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten und ihre Lehrtätigkeit in der Philosophie. Sie lehrte an der neuplatonischen Schule in Alexandria, wo sie eine bedeutende Anhängerschaft gewann. Ihre Vorlesungen umfassten eine breite Palette von Themen, darunter Mathematik, Astronomie und Philosophie, und sie schrieb mehrere Kommentare zu den Werken großer Mathematiker wie Diophant und Apollonius. Ihre Arbeiten über den Kegelschnitt, die als Kommentare zu Apollonius’ Werk dienten, zeugen von ihrem tiefen Verständnis der Mathematik.

In der Philosophie war Hypatia eine Anhängerin des Neuplatonismus, einer philosophischen Strömung, die von Plotin begründet wurde und stark von Platons Ideen beeinflusst war. Sie trug dazu bei, diese Lehren zu verbreiten und zu interpretieren, und ihre philosophischen Diskurse zogen zahlreiche Schüler an, darunter auch bedeutende Persönlichkeiten wie Synesios von Kyrene, der später Bischof wurde.

Hypatias Leben und Wirken fanden in einer turbulenten Zeit statt, die von politischen und religiösen Spannungen geprägt war. Das Römische Reich war im Umbruch, und das Christentum gewann zunehmend an Einfluss, was oft zu Konflikten mit den traditionellen heidnischen und philosophischen Schulen führte. Hypatia, eine prominente Vertreterin der hellenistischen Gelehrsamkeit und des Neuplatonismus, geriet in den Strudel dieser Auseinandersetzungen.

Im März 415 wurde Hypatia von einem aufgebrachten Mob christlicher Fanatiker brutal ermordet. Ihr Tod wird oft als ein Akt der religiösen Intoleranz und der Zerstörung des intellektuellen Erbes der Antike betrachtet und mahnt an die Zerbrechlichkeit der intellektuellen Freiheit in Zeiten des Umbruchs.

Hypatia von Alexandria ist somit nicht nur eine historische Figur, sondern auch ein Symbol für die Macht und die Gefahren des Wissens. Ihre Geschichte inspiriert weiterhin Menschen, sich für Bildung, Toleranz und die Freiheit des Denkens einzusetzen.

Hypatias Leben und Wirken, insbesondere ihre wissenschaftliche und philosophische Bedeutung werden von den Historikern durchaus kontrovers bewertet.
Wir beziehen uns hier auf Richard Hoche, der 1860, nach gründlicher Quellenprüfung, eine überzeugende Arbeit vorgelegt hat: “Hypatia die Tochter Theons“. Sehen wir uns einige Auszüge daraus an. (Die eigentümliche Schreibweise wurde original belassen.)

Alexandria war bald, nachdem es die residenz der Ptolemäer geworden, durch die grossartige liberalität dieser fürsten der mittelpunkt der wissenschaftlichen welt des alterthums geworden. Schon der erste Ptolemäus, des Lagus sohn, hatte an seinen hof eine reihe bedeutender gelehrten gezogen, hatte durch Demetrius Phalereus die bibliothek begründen lassen, welche später der stolz Alexandriens wurde, hatte wohl auch schon den grund gelegt zu dem museum, der fast alle wissenschaftlichen bestrebungen umfassenden reichsanstalt.

Das Museum (museion) von Alexandria gilt als eine der zentralen Institutionen der antiken Wissenschaft und Philosophie. Gegründet um 280 v. Chr., beherbergte das Museum die berühmte Bibliothek und bot ein akademisches Umfeld für Gelehrte. Die Alexandrinische Schule war bekannt für ihre interdisziplinären Ansätze, besonders in Mathematik, Astronomie, Medizin und Philosophie und ist mit großen Namen verbunden, wie Euklid und Plotin. Ihr Einfluss prägte das wissenschaftliche Denken weit über die Antike hinaus und legte Grundlagen für spätere Entwicklungen in Wissenschaft und Bildung.

Aus den letzten zeiten des kampfes zwischen der christlichen kirche und dem glauben an die alten götter tritt uns in Alexandria die erscheinung einer frau entgegen, welche ihres gleichen vergeblich sucht in der weltgeschichte, welche aus dem museum hervorgegangen, fast die gesammte heidnische wissenschaft, wenigstens in den mathematischen und philosophischen disciplinen, in sich zu vereinigen weiss und durch die macht ihrer erscheinung und ihres wortes dem christenthum und seinen vertretern in Alexandria so gefährlich wird oder zu werden droht, dass ein schmählicher mord die kämpfende kirche vor ihr schützen muss . Dieses weib ist Hypatia, die tochter Theons des mathematikers.

Hoche stellt fest, dass über Hypatias Leben und ihre Bedeutung unter den Historikern heftig gestritten wird, was vor allem an den wenigen Quellen liegt, auf die sich die Forschung stützen kann.

Nur mangelhafte kunde über die lebensverhältnisse Hypatia’s geben uns die quellen, lassen uns aber doch einen blick thun in den charakter der bedeutenden frau und in das drängen und treiben der stürmischen zeit, in welcher sie lebte und wirkte, und welcher sie erlag.

Hoches Darstellung erscheint deshalb überzeugend, weil er sich auf belegte Aussagen von Zeitzeugen stützt, insbesondere die des Sokrates Scholastikos und des Synesios von Kyrene.

Durch ihre weit bekannten talente , durch ihre für eine frau so ungewöhnliche bildung und nicht minder durch ihre körperliche schönheit wurde Hypatia sehr bald der mittelpunkt eines hochgebildeten kreises. Sie treibt mit denen , welche sie besuchen , philosophie und bald gehört es zum guten tone in Alexandria zu philosophiren, mit der philosophin umgang zu haben, welche allen ihren zeitgenossen an geist so weit überlegen war, welche selbst hochgestellten personen mit sicherheit entgegentrat und in der freundlichsten weise gern mit jedem sich unterhielt. Es wird uns ausdrücklich von ihr überliefert, dass sie im reden gar wohl erfahren und gewandt gewesen sei, dabei aber in ihrem auftreten sehr verständig und bürgerfreundlich , so dass nicht nur die ersten beamten der stadt sie häufig besuchten , sondern auch die ganze bürgerschaft sie mit ausgezeichneter hochachtung behandelte. Alle tugenden werden ihr nachgerühmt. Synesius erschöpft sich in ihrem lobe, Damascius und Sokrates preisen ihre keuschheit und bescheidenheit, die ihr um so höher angeschlagen wird , als von den vornehmsten kreisen ihr so mannigfache huldigungen entgegengebracht wurden.
Ihre vielen bekanntschaften scheinen sie bald in die öffentlichkeit gezogen zu haben, sie erschien selbst bisweilen in den versammlungen des rathes, der sie hoch ehrte; ,, sie scheute sich nicht, in der mitte einer versammlung von männern zu erscheinen, sagt Sokrates , denn alle hatten vor ihr ehrfurchtsvolle scheu und bewunderten sie.“

Besonders interessant ist die Überlieferung, dass sich Hypatia den Philosophenmantel anzog, einen traditionellen Umhang der Philosophen, der eigentlich Männern vorbehalten war, und damit auf die Straße ging, um öffentlich zu philosophieren. Auch in Raffaels Gemälde trägt die als Hypatia vermutete Frau diesen Mantel.

so warf auch Hypatia den mantel der philosophen um, ging mit demselben durch die strassen der stadt und trug öffentlich denen, welche zuhören wollten, die systeme des Platon, des Aristoteles und anderer philosophen vor.
Es ist nicht unwahrscheinlich , dass sie förmlich die leitung der neuplatonischen schule übernommen hat, wenigstens lässt der ausdruck des Sokrates , dass sie die von Plotinus gegründete schule übernommen habe , wohl kaum eine andere deutung zu. […] Ueber ihre thätigkeit als lehrerin und die art ihres verkehrs mit ihren schülern liegen uns ausser dem zeugnisse des Damascius bei Suidas, welcher ganz besonders ihr lehrgeschick hervorhebt, eine reihe der werthvollsten mittheilungen vor, in den schriften und besonders den briefen des Synesius, bischofs von Ptolemais aus Cyrene, des treuesten und bekanntesten ihrer schüler, der seine wissenschaftliche bildung fast allein dem unterrichte der Hypatia verdankt.

Aber nicht nur im philosophischen Bereich erwarb Hypatia sich außerordentliche Kenntnisse und Ansehen, ihre Kompetenzen lagen vor allem auch in Mathematik, Astronomie und anderen Wissenschaften.

Aus diesen mittheilungen des Synesius ergiebt sich bereits im allgemeinen , was Hypatia ihren schülern vorgetragen hat. Wenn sie auch als vorsteherin der neuplatonischen schule hauptsächlich die philosophischen systeme der aristotelischen und der eigenen schule zu lehren hatte , so scheint doch ihre hauptthätigkeit sich im gebiete der astronomie und mechanik bewegt zu haben, wie schon ihr vater hauptsächlich mechaniker gewesen war. […] Philostorgius sagt, sie habe ihren lehrer (d. h. ihren vater Theon ) übertroffen vorzüglich in der sternkunde; Hesychius spricht von ihren hervorragenden kenntnissen in der astronomie, ja Damascius setzt sie als eine nur die geometrie studirende frau ausdrücklich dem Isidorus gegenüber, als einem wirklichen philosophen. Jedenfalls waren also ihre mathematischen studien die vorwiegenden.

Einen großen Teil ihrer späteren Berühmtheit “verdankt” Hypatia allerdings den grausamen Umständen ihres Todes.

Ein trauriges ende war der frau vorbehalten, die Alexandria so grossen ruhm verliehen hatte, ein tod durch mörderhand, welcher der kirche und ihren dienern nicht geringen hass zuzog, da nicht nur geistliche bei dem verbrechen betheiligt waren, sondern auch die urheberschaft dem Cyrillus, dem bischofe von Alexandria zugeschoben wurde. […] Es ist uns zum guten glücke über den schmählichen mord der bericht des Socrates Scholasticus erhalten, welcher auch auf die tiefer liegenden ursachen ein licht wirft, indem er uns einen einblick in die zustände in Alexandria zu jener zeit eröffnet, zustände, deren verwirrung hauptsächlich durch die übergriffe der geistlichkeit und vor allen des Cyrillus hervorgerufen waren.

Als gesichert gilt, dass Hypatia im März des Jahres 415 von einem aufgebrachten Mob auf brutalste Weise massakriert wurde. Auf die möglichen Ursachen und historischen Zusammenhänge können wir an dieser Stelle nicht näher eingehen; sie werden von Hoche ausführlich beschrieben.

Mit ihr war der letzte glanz heidnischer wissenschaft erloschen; mit Hypatia‘s leben wurde auch der letzte rest des museums vernichtet; der ruhm, welcher durch mehr als sechs jahrhunderte die stadt der Ptolemäer geziert hatte, vermochte die christliche wissenschaft der hauptstadt Aegyptens nicht zu erhalten.

Die Ansicht einiger Historiker, Hypatia markiere das Ende der antiken Wissenschaft und Philosophie, ist in gewisser Weise berechtigt. Die zunehmende religiöse Dogmatisierung auf dem Weg ins Mittelalter schränkte die freie Forschung und Lehre immer mehr ein. Lediglich die Platonische Akademie in Athen hatte noch eine Weile Bestand und erlebte mit Proklos eine kurze Blütezeit. Da sich die Akademie den Dogmen der christlichen Lehre verweigerte, wurde sie auf Betreiben religiöser Kreise im Jahr 529 durch Kaiser Justinian geschlossen.

Zitate: “Richard Hoche. Hypatia die Tochter Theons” Philologus Band XV, Heft 3 (1860) – lesen bei google books

Hypatia-Statue von Emile Picault, Allée d’artistes Paris





Seit Jahrhunderten wird gestritten, welche Personen Raffael in seinem berühmten Fresco “Die Schule von Athen” darstellen wollte. Diese hier soll aber, nach weitgehender Übereinstimmung der Ansichten, Hypatia sein.

Hypatia. Gemälde von Charles William Mitchell (1885)


Die Figur der Hypatia wurde oft in der Belletristik verarbeitet. Besonders bekannt wurde sie durch Charles Kingsleys Roman “Hypatia or New Foes with an Old Face” von 1853.

Nach Hypatia sind der Asteroid (238) und ein Mondkrater benannt worden.

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Bildnachweis
Hypatia-Statue von Emile Picault, Allée d’artistes Paris – Foto: Villesy (CC BY-SA 4.0)