Thomas von Aquin

* 1225 in Roccasecca bei Aquino
† 7. März 1274 in Fossanova
wird als einer der größten Denker der christlichen Tradition angesehen. Seine Synthese aus Glaube und Vernunft, seine Schriften und seine spirituelle Hingabe machen ihn zu einer zeitlosen Inspirationsquelle für Theologen, Philosophen und Gläubige weltweit.

In dieser Situation der äußersten Gefährdung
nicht nur der Möglichkeit einer christlichen Philosophie,
sondern der Einheit des menschlichen Geistes überhaupt,
tritt Thomas von Aquino auf den Kampfplatz … ➤➤

Die Zeitsituation braucht ersichtlich einen solchen Denker von höchster Konzentration. Denn die Epoche des Thomas ist eine Zeit schwerer Gefährdungen des Geistes, und zwar gerade auf dem Felde der Theologie und Philosophie. Durch alle Streitigkeit hindurch hat sich hier in den vorangehenden Jahrhunderten eine gewisse Übereinstimmung herausgebildet. Es ist eine christliche Philosophie entstanden, erwachsen aus der Berührung des griechischen Geistes mit der christlichen Grunderfahrung. Sie hat in dem gewaltigen und gewaltsamen Denken des Augustinus ihre erste große Gestalt gefunden und ist zuletzt in Anselm von Canterbury zu voller Wirksamkeit gelangt. Diese christliche Philosophie beruht auf einer Synthese der natürlichen Vernunft und des Glaubens, aber so, dass die Vernunft sich dem Glauben unterordnet, um dann freilich, eben in dessen Dienst, sich voll entfalten zu können. 

In dieses ausgewogene System christlicher Philosophie bricht nun, schon geraume Zeit vor Thomas, ein störendes Moment ein. Man lernt eine Philosophie genauer kennen, die sich nicht ohne weiteres dem christlichen Glauben einfügen lässt: die Philosophie des Aristoteles. Von dieser ist bis dahin im Abendland nur wenig bekannt. Die arabischen Philosophen dagegen haben die Kenntnis des ganzen Aristoteles überliefert, und diese dringt nun auch in das abendländische Denken ein. Das aber hat weitreichende Konsequenzen, ja, es droht zu einer geistigen Revolution zu werden. Denn nun begegnet man einer Weltdeutung, die sich dagegen zu sträuben scheint, Hilfsmittel der Theologie zu sein. Sie stellt vielmehr ein in sich geschlossenes System dar, das alle Wirklichkeit, von den Dingen über den Menschen bis hin zu Gott, in sich befasst. Die Gefahr, die daraus für eine christliche Philosophie erwächst, ist offenkundig. Hier scheint sich neben der Wahrheit des Glaubens eine rein weltliche Wahrheit behaupten zu wollen: eine Wahrheit des bloßen Verstandes. In der Tat wird diese Möglichkeit eines Nebeneinander ernstlich erwogen, und zwar nicht von irgendwelchen gelehrten Sonderlingen, sondern von angesehenen Professoren der Pariser Universität, des damaligen Zentrums der Wissenschaft. Zur gleichen Zeit, in der Thomas Lehrer der Theologie in Paris ist, gerät der bedeutende Denker Siger von Brabant, auch er Professor in Paris, in die Nähe der Lehre von einer doppelten Wahrheit, der des Glaubens und der der Vernunft. Wird aber so von zwei widerstreitenden Gesichtspunkten behauptet, sie seien beide wahr, dann muss dies zu einer heillosen Zerreißung des menschlichen Geistes führen. Das wird als äußerst beunruhigend empfunden. Bonaventura,  auch er einer der großen zeitgenössischen Denker, gleichzeitig mit Thomas Lehrer der Theologie in Paris  und eng mit ihm befreundet, weist warnend auf den Traum des heiligen Hieronymus hin, in dem dieser beim  Jüngsten Gericht gegeißelt wird, weil er an der Philosophie Ciceros Gefallen gefunden hat. 

In dieser Situation der äußersten Gefährdung nicht nur der Möglichkeit einer christlichen Philosophie, sondern der Einheit des menschlichen Geistes überhaupt, tritt Thomas von Aquino auf den Kampfplatz. Er macht sich an die Aufgabe, die beiden widerstreitenden Weltsichten miteinander zu versöhnen, und zwar so, dass keine von beiden ihres Rechtes beraubt wird. Er will also sowohl dem aristotelischen Denken den ihm gebührenden Platz einräumen wie auch zugleich die Wahrheit des Glaubens bewahren. In unermüdlicher, jedes Detail der Fragen bedenkender Arbeit gelingt ihm die Synthese, nach der das Zeitalter verlangt. 

Wilhelm Weischedel “Die philosophische Hintertreppe” München: dtv 1993

Gemälde von Fra Bartolommeo (um 1500)

Thomas von Aquin, ein bedeutender Philosoph, Theologe und Kirchenlehrer, wurde 1225 auf Schloss Roccasecca in der Nähe von Aquino, im heutigen Italien, geboren. Er stammte aus einer adeligen Familie, die ihn zunächst für ein Leben in kirchlicher oder politischer Macht vorsah. Bereits als Kind wurde Thomas in das Benediktinerkloster Montecassino geschickt, wo er eine grundlegende Ausbildung erhielt. Später studierte er an der Universität Neapel, wo er sich intensiv mit Philosophie, insbesondere mit den Schriften von Aristoteles, auseinandersetzte.

Im Alter von etwa 19 Jahren trat Thomas gegen den Willen seiner Familie in den Dominikanerorden ein, der sich durch Armut und Hingabe an die Predigt auszeichnete. Seine Familie versuchte zunächst, ihn mit Gewalt von diesem Entschluss abzubringen, akzeptierte später jedoch seinen Entschluss. Thomas setzte seine Studien in Paris und Köln fort, wo er Schüler von Albertus Magnus, einem der führenden Gelehrten seiner Zeit, wurde.

Unter einem Philosophen pflegt man sich einen Menschen von abgezehrtem Leibe vorzustellen, mit hageren, eingefallenen Wangen, so, als habe der in ihm residierende Geist die Leiblichkeit fast völlig aufgezehrt. Von solcher Statur mag etwa Immanuel Kant gewesen sein. Will man sich dagegen die äußere Gestalt des Thomas von Aquino, dieses bedeutenden Denkers aus dem 13. Jahrhundert, vor Augen halten, dann muß man umlernen. Er ist von einer imposanten Leibesfülle gewesen. An seinem Pult – so wird überliefert – muß ein runder Einschnitt angebracht werden, damit er überhaupt daran sitzen und studieren kann. Man darf das erwähnen, ohne den Respekt vor dem großen Manne zu verletzen; denn Thomas selber hat sich gelegentlich selbstironisch über seine ungeheure Leiblichkeit geäußert.
(Weischedel 1966)

Thomas entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Denker des Mittelalters. Seine Theologie und Philosophie basierten auf einer Synthese von Glauben und Vernunft. Er versuchte, das christliche Denken mit den Ideen des Aristoteles zu verbinden, der zu seiner Zeit durch arabische Übersetzungen wiederentdeckt wurde. In seinem Hauptwerk, der Summa Theologiae, entwarf Thomas ein umfassendes System, das sich mit nahezu allen Bereichen der Theologie und Ethik befasste. Er argumentierte, dass sowohl der Glaube als auch die Vernunft zu Erkenntnis führen, jedoch auf unterschiedlichen Wegen.

Ein zentraler Punkt seiner Lehre ist die sogenannte „natürliche Theologie“. Laut Thomas können bestimmte Wahrheiten über Gott mit der menschlichen Vernunft erschlossen werden, wie beispielsweise die Existenz Gottes, die er durch die „fünf Wege“ (quinque viae) beweist. Diese Argumente beruhen auf Beobachtungen der Welt, wie der Bewegung, der Kausalität oder der Ordnung in der Natur.

Thomas von Aquin war nicht nur ein Theoretiker, sondern auch ein Mann des Glaubens. Sein Leben war geprägt von Gebet, Predigt und der Hingabe an die kirchliche Lehre. Papst Urban IV. betraute ihn mit der Entwicklung liturgischer Texte, darunter die berühmte Fronleichnamsliturgie. Trotz seines intellektuellen Einflusses blieb er persönlich bescheiden und ordensgebunden.

1274 starb Thomas auf einer Reise zum Zweiten Konzil von Lyon im Kloster Fossanova. Seine Heiligsprechung erfolgte 1323, und 1567 wurde er zum Kirchenlehrer ernannt.

Reliquiar mit den Gebeinen des Thomas von Aquin in der Jakobinerkirche, Toulouse
Foto: Didier Descouens (CC BY-SA 4.0)

Weiterführend empfehlen wir den Beitrag
„Was ist Wahrheit? – Zum 750. Todestag des heiligen Thomas von Aquin“
von Christian Feldmann.

Thomas hinterließ ein gewaltiges Werk. Dennoch kam er am Ende seines Lebens zu der Einsicht:
Alles, was ich geschrieben habe,
erscheint mir jetzt als ein Haufen von Stroh.

(Bericht des Bartholomäus von Capua)

Quaestiones disputatae

Die Quaestiones disputatae sind Sammlungen von disputierten Fragen, die Thomas während seiner Lehrtätigkeit behandelte. Sie decken ein breites Spektrum theologischer und philosophischer Themen ab, wie etwa die Allmacht Gottes, die Natur des Bösen und die Tugenden. Diese Texte zeigen Thomas’ Fähigkeit, komplexe Fragen im Rahmen akademischer Debatten klar und präzise zu analysieren.

De ente et essentia

De ente et essentia („Über das Seiende und das Wesen“) ist eine kurze, aber tiefgründige Abhandlung über die Metaphysik. Darin erklärt Thomas die Unterscheidung zwischen „Sein“ (esse) und „Wesen“ (essentia), die für sein philosophisches Denken zentral ist. Dieses Werk bietet eine wichtige Grundlage für seine späteren Überlegungen zur Natur Gottes und der geschaffenen Welt.

lesen bei Zeno

Summa Theologiae

Die Summa Theologiae ist Thomas’ Hauptwerk und eines der bedeutendsten Werke der Theologiegeschichte. Sie bietet ein systematisches Kompendium des christlichen Glaubens, das Themen wie Gottesexistenz, Moral, Sakramente und Eschatologie behandelt. Das Werk ist in drei Hauptteile gegliedert und richtet sich an Theologiestudenten, mit dem Ziel, eine klare und logische Darstellung der Glaubenslehre zu liefern.

lesen bei Summa21.de

Gegen die Heiden

Die Summa contra Gentiles richtet sich an Andersgläubige und zielt darauf ab, den christlichen Glauben philosophisch und theologisch zu verteidigen. Sie konzentriert sich auf Themen wie die Existenz und Natur Gottes, die Schöpfung und die menschliche Erlösung. Das Werk zeigt Thomas’ Bemühungen, Glaubenswahrheiten durch die Vernunft zugänglich zu machen, um den Dialog mit Nichtchristen zu fördern.

„Wenn wir die Probleme des Glaubens nur auf dem Wege der Autorität lösen, werden wir gewiss die Wahrheit besitzen, aber in einem leeren Kopf!“

Ehrungen

Gemälde von Joos van Wassenhove + Pedro Berruguete (um 1475)
Gemälde von Carlo Crivelli (1476)
Gemälde von
Sandro Botticelli (undat.)
Gemälde von Jusepe de Ribera (um 1630)
Disputation zwischen Thomas von Aquin und Albertus Magnus – aus dem Zyklus “Die geistigen Kulturepochen” von  Otto Knille (1887)
Büste in Rom, Villa Borghese
Statue an der Katholischen Hofkirche in Dresden
Statue in Santiago de Chile
Briefmarke Italien 1974
Briefmarke BRD 1974
Briefmarke Andorra 1982
Briefmarke Ungarn 2023
Briefmarken-Serie Vatikan 1974
Briefmarke Vatikan 2024
2-EURO-Münze, Vatikan 2024

Bildnachweis
Otto Knille, Disputation: Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Andres Kilger [CC BY-NC-SA]
Büste in Villa Borghese: Burkhard Mücke (CC BY-SA 4.0)
Statue in Dresden: Paulae (CC BY-SA 3.0)
Statue in Santiago: Carlos Figueroa Rojas (CC BY-SA 4.0)

Videos zu Thomas von Aquin findest du in unserem Kinosaal, zum Beispiel:

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