Zeit-Fragen
Mit Albert Einsteins Relativitätstheorie hat sich das Verständnis von Raum und Zeit völlig verändert. In der Philosophie waren dies von jeher zentrale Begriffe der Metaphysik. Nun rückten sie in den Bereich des physikalisch erklärbaren.
Im Laufe der Geschichte wurde die Frage nach der Natur der Zeit von verschiedenen Philosophen und Denkschulen behandelt. Einige der bekanntesten und einflussreichsten haben wir hier zusammengestellt.
Die Zeittheorie des Theologen Augustinus (354 – 430) ist eine bedeutende philosophische Leistung der Spätantike.
Augustinus’ Ansichten zur Zeit sind eng mit seiner theologischen Überzeugung verbunden. Er argumentierte, dass Zeit ein Produkt der Vorstellungskraft des menschlichen Geistes sei und dass Zeit in unserer Vorstellung als eine Abfolge von Ereignissen existiere, die von der Ewigkeit abgegrenzt ist. Zeit sei daher relativ und subjektiv, da sie von unserer Wahrnehmung abhängig ist. Diese Sichtweise führte Augustinus zu der berühmten Aussage: “Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es. Wenn ich es einem erklären will, der danach fragt, weiß ich es nicht.“
Insgesamt betonte seine Theorie die transzendente Natur der Zeit und ihre Verbindung zur göttlichen Ewigkeit. Augustinus glaubte, dass die wahre Ewigkeit nur in Gott zu finden sei, der außerhalb der Zeit existiere. Gott sei zeitlos und unveränderlich, während die Schöpfung in der Zeit existiere und sich ständig verändere. Für Augustinus war die Zeit ein Mysterium, das die menschliche Vorstellungskraft überstieg und auf die Ewigkeit Gottes hinwies.
Edmund Husserl (1859-1938) trug mit seiner Zeittheorie zur Entwicklung der modernen Philosophie des Bewusstseins bei.
Ihm ging es darum zu verstehen, wie Zeit im menschlichen Bewusstsein erlebt wird.
Husserl argumentierte, dass Zeit keine objektive Entität ist, sondern eine subjektive Struktur, die durch das Bewusstsein konstituiert wird.
Husserl unterschied zwischen verschiedenen Arten von Zeitbewusstsein:
– das “primäre” Zeitbewusstsein, das die unmittelbare Wahrnehmung der Gegenwart ist
– das “sekundäre” Zeitbewusstsein, das die Fähigkeit des Bewusstseins ist, Vergangenheit und Zukunft zu konstruieren und zu erfassen.
Husserl betonte die Bedeutung des subjektiven Erlebens von Zeit und erklärte, dass die Erfahrung von Zeit in ihrer reinen Form frei von allen physischen und empirischen Elementen sein kann.
Insgesamt lieferte Husserls Zeittheorie einen bedeutenden Beitrag zur Phänomenologie und beeinflusste spätere Philosophen wie Martin Heidegger und Maurice Merleau-Ponty bei ihren Untersuchungen zur menschlichen Existenz und dem Verständnis der Zeit.
Der britischen Philosoph John McTaggart Ellis McTaggart (1866 – 1925) verfasste 1908 den Essay “The Unreality of Time”, in dem er seine Zeittheorie entwickelte.
McTaggart argumentiert, dass es zwei grundlegende Weisen gibt, wie wir Zeit wahrnehmen: die A-Serie und die B-Serie. Die A-Serie beschreibt die subjektive Erfahrung der Zeit, bei der Ereignisse als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig wahrgenommen werden. Die B-Serie hingegen betrachtet Zeit als eine objektive Abfolge von Ereignissen, die unabhängig von unserer Wahrnehmung existieren.
McTaggart behauptet, dass die A-Serie selbstwidersprüchlich ist, weil Ereignisse kontinuierlich zwischen vergangen und zukünftig wechseln, was zu einem Paradoxon führt: Wenn Ereignisse sowohl vergangen als auch zukünftig sind, scheint die A-Serie unrealistisch zu sein.
Aus diesem Grund betrachtet McTaggart die B-Serie, die Zeit als eine statische Abfolge von Ereignissen betrachtet, die einander bedingen, als eine genauere Beschreibung der Realität.
McTaggarts Zeittheorie hat viele Debatten ausgelöst und bleibt ein wichtiger Diskussionspunkt in der Philosophie der Zeit.
Isaac Newton (1643 – 1727) war einer der bedeutendsten Wissenschaftler der Geschichte. Er beschrieb nicht nur die Gravitations- und Bewegungsgesetze, sondern entwickelte auch eine umfassende Zeittheorie.
Nach Newton ist Zeit absolut und unabhängig von Ereignissen oder Objekten in der Natur. Er betrachtete die Zeit als eine universelle, gleichmäßige und unaufhaltsam voranschreitende Größe, die stets in derselben Richtung verläuft, unabhängig von äußeren Einflüssen. Dieses Konzept der absoluten Zeit bildete die Grundlage für das Newtonsche Weltbild.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Newtons Zeittheorie ist die Vorstellung von Raum und Zeit als einem gemeinsamen “Absoluten Raum”, in dem alle Ereignisse stattfinden. Dieser Raum ist statisch und unveränderlich, und die Zeit dient als eine Art “Kosmische Uhr”, die den Fortschritt der Ereignisse in diesem Raum misst.
Newtons Zeittheorie war über lange Zeit hinweg äußerst einflussreich und bildete die Grundlage für das klassische mechanische Weltbild, bevor sie im 20. Jahrhundert durch Albert Einsteins Relativitätstheorie modifiziert wurde.
Bildnachweis:
Arturo Espinosa: Porträt Edmund Husserl (CC BY 2.0)