In der Literatur brachte die europäische Aufklärung große Namen hervor, und doch standen sie alle – zumindest in Deutschland – im Schatten eines Mannes: Johann Wolfgang von Goethe.
Dies gilt auch und ganz besonders für Friedrich Schiller, dem das durchaus bewusst war, schrieb er doch im Jahr 1800 an Charlotte von Schimmelmann: “Nach meiner innigsten Überzeugung kommt kein anderer Dichter ihm an Tiefe der Empfindung und an Zartheit derselben, an Natur und Wahrheit und zugleich an hohem Kunstverdienste auch nur von weitem bei. Die Natur hat ihn reicher ausgestattet als irgendeinen, der nach Shakespeare aufgestanden ist.“
Aber es gibt ein Feld, auf dem Schiller der Bedeutendere von beiden war: die Philosophie. Goethe gab selbst zu:
“Von der Philosophie habe ich mich selbst immer frei erhalten; der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes war auch der meinige.”
Es scheint, dass Goethes »Künstlernatur dem Zergliedern, Trennen und Abstrahieren, welches der Philosoph notwendig betreiben muss, sich nie in dem Maße wie diejenige Schillers zu eigen geben konnte.« (Vorländer 1908) Während seine philosophische Bedeutung vor allem in dem Widerhall liegt, den seine Werke in fremdem Ideengut fanden, hat Schiller eigene Beiträge zu verschiedenen Gebieten der Philosophie geleistet.
Die Taten der Philosophen
„Der Mensch bedarf des Menschen sehr
Zu seinem großen Ziele,
Nur in dem Ganzen wirket er,
Viel Tropfen geben erst das Meer,
Viel Wasser treibt die Mühle.
Drum flieht der wilden Wölfe Stand,
Und knüpft der Staaten dauernd Band“
So lehren vom Katheder
Herr Puffendorf und Feder.
Doch weil, was ein Professor spricht,
Nicht gleich zu allen dringet,
So übt Natur die Mutterpflicht,
Und sorgt, dass nie die Kette bricht,
Und dass der Reif nie springet.
Einstweilen, bis den Bau der Welt
Philosophie zusammenhält,
Erhält sie das Getriebe
Durch Hunger und durch Liebe.
Die Taten der Philosophen
(1795)
Der Satz, durch welchen alles Ding
Bestand und Form empfangen,
Den Nagel, woran Zeus den Ring
Der Welt, die sonst in Scherben ging,
Vorsichtig aufgehangen,
Den nenn ich einen großen Geist,
Der mir ergründet, wie er heißt,
Wenn Ich ihm nicht drauf helfe.
Er heißt: Zehn ist nicht Zwölfe.
Der Schnee macht kalt, das Feuer brennt,
Der Mensch geht auf zwei Füssen,
Die Sonne scheint am Firmament,
Das kann, wer auch nicht Logik kennt,
Durch seine Sinne wissen.
Doch wer Philosophie studiert,
Der weiß, dass wer verbrennt, nicht friert,
Weiß, dass das Nasse feuchtet
Und dass das Helle leuchtet.
Homerus singt sein Hochgedicht,
Der Held besteht Gefahren,
Der brave Mann tut seine Pflicht,
Und tat sie, ich verhehl es nicht,
Eh noch Weltweise waren,
Doch hat Genie und Herz vollbracht,
Was Lock‘ und Leibnitz nie gedacht,
Sogleich wird auch von diesen
Die Möglichkeit bewiesen.
Im Leben gilt der Stärke Recht,
Dem Schwachen trotzt der Kühne,
Wer nicht gebieten kann, ist Knecht;
Sonst geht es ganz erträglich schlecht
Auf dieser Erdenbühne.
Doch wie es wäre, fing der Plan
Der Welt nur erst von vornen an,
Ist in Moralsystemen
Ausführlich zu vernehmen.
„Der Mensch bedarf des Menschen sehr
Zu seinem großen Ziele,
Nur in dem Ganzen wirket er,
Viel Tropfen geben erst das Meer,
Viel Wasser treibt die Mühle.
Drum flieht der wilden Wölfe Stand,
Und knüpft der Staaten dauernd Band“
So lehren vom Katheder
Herr Puffendorf und Feder.
Doch weil, was ein Professor spricht,
Nicht gleich zu allen dringet,
So übt Natur die Mutterpflicht,
Und sorgt, dass nie die Kette bricht,
Und dass der Reif nie springet.
Einstweilen, bis den Bau der Welt
Philosophie zusammenhält,
Erhält sie das Getriebe
Durch Hunger und durch Liebe.
Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre.
Die Räuber
Aber der Künstler wählt für das kurze Gesicht der Menschheit, die er belehren will, nicht für die scharfsichtige Allmacht, von der er lernt.
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. Der Staat muss untergehn, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.
Demetrius
Unter diesem Titel stand die Antrittsvorlesung Schillers, der 1789 eine Professur an der Universität Jena erhielt. Sie zählt zu seinen bekanntesten Schriften mit philosophischem Gehalt.
Beklagenswerter Mensch, der mit dem edelsten aller Werkzeuge, mit Wissenschaft und Kunst, nichts höheres will und ausrichtet, als der Tagelöhner mit dem schlechtesten! der im Reiche der vollkommensten Freiheit eine Sklavenseele mit sich herum trägt! […]
Bald wird seine Berufswissenschaft als ein Stückwerk ihn anekeln; Wünsche werden in ihm aufwachen, die sie nicht zu befriedigen vermag, sein Genie wird sich gegen seine Bestimmung auflehnen. Als Bruchstück erscheint ihm jetzt alles was er tut, er sieht keinen Zweck seines Wirkens, und doch kann er Zwecklosigkeit nicht ertragen.
Schiller war stark von der Philosophie Immanuel Kants beeindruckt und gehörte zu deren einflussreichsten Verbreitern und Kritikern. Seine erste öffentliche Auseinandersetzung mit Kant bildet der Essay “Über Anmut und Würde”, erschienen 1793 in der Zeitschrift “Neue Thalia”.
Friedrich Hölderlin
Bemerkenswerte Einblicke in Schillers philosophische und politische Ansichten bieten die Briefe, die er zwischen 1793 und 1796 an den Herzog von Augustenburg (Abbildung) schrieb. Sie waren die Grundlage der später erschienenen Briefe “Über die ästhetische Erziehung des Menschen”.
Auf Grundlage der Augustenburger Briefe schrieb Schiller die Abhandlung “Über die ästhetische Erziehung des Menschen”, die 1795 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift “Die Horen” erschien.
Schillers letzte größere philosophische Abhandlung erschien 1795/96 in “Die Horen”. Als Beitrag zur Kulturphilosophie und Literaturgeschichte fand sie in Fachkreisen große Anerkennung.
Maria Koch (2023)
Die Aktualität von Schillers Gedanken zeigen diese Exponate aus unserer Sonderausstellung IMAGOSOPHIE.
Abschließend noch ein kurzes Interview, das wir mit Friedrich Schiller geführt haben. 😉
Zitatnachweis:
Christoph Martin Wieland (Denn für den Wissenden) “Die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva” (1764)
Friedrich Gottlieb Klopstock (Rund um mich) “Die Frühlingsfeyer” (1771)
Gotthold Ephraim Lessing (Denn nichts ist wahr): (Hamburgische Dramaturgie” (1767)
Johann Gottfried Herder (Weder Krieger noch Mönche) “Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit” (1784)
Friedrich Schiller (Philosophen verderben): “Böse Zeiten” (1782)
J.W. Goethe (wer philosophiert): “Plato als Mitgenosse einer christlichen Offenbarung” (1796)
J.W. Goethe (Von der Philosophie): Johann Peter Eckermann “Gespräche mit Goethe” (4. Februar 1829)
Friedrich Hölderlin (Ich erinnere mich nicht): Brief an Neuffer (1794)
Maria Koch: “Dramatiker, Dichter – Philosoph? Schillers philosophisches Schaffen im zeitgenössischen Urteil” Bielefeld: Aisthesis 2023