An den mittelalterlichen Universitäten musste zunächst ein Studium an der Artistenfakultät abschlossen werden, bevor man an einer der anderen Fakultäten studieren durfte.
Diese war nach den sieben artes liberales (freien Künsten) organisiert: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik.
Die Künste wurden als Werkzeuge zur Erlangung von Wissen und Weisheit angesehen, so dass über allen die Philosophie stand.
(siehe Bild Mitte: “Die Philosophie thront inmitten der Sieben Freien Künste”
An den mittelalterlichen Universitäten war die Artistenfakultät eine so genannte propädeutische Fakultät. Das bedeutete, dass man zunächst sein Studium an der Artistenfakultät abschließen musste, bevor man an einer der anderen Fakultäten studieren durfte. Im Gegensatz zu den anderen Fakultäten – Jura, Theologie und Medizin – hatten die Künste damals keinen praktischen beruflichen Nutzen. Man konnte nicht “Künstler” werden, wie man Theologe, Jurist oder Arzt werden konnte. Vielmehr konzentrierte sich der Lehrplan auf die Vermittlung von Fähigkeiten, die den heutigen Grundlagen der Forschung ähnelten. Jede Universität brauchte eine Artistenfakultät, um zu existieren.
In diesem Sinne war die Artistenfakultät das Herzstück der Universität, und obwohl das Ziel der mittelalterlichen Ausbildung theologische Kenntnisse waren, war auch eine allgemeine künstlerische Ausbildung wünschenswert.Die künstlerische Fakultät war nach den sieben artes liberales (freien Künsten) organisiert. Diese wiederum waren in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe, das Trivium, konzentriert sich auf das Studium der Sprache und bietet Kurse in Grammatik, Rhetorik und Dialektik an. Die zweite Gruppe, das Quadrivium, konzentrierte sich auf das Studium der Zahlen: Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Das Trivium bildete die Grundlage für eine korrekte mündliche und sprachliche Kommunikation.
Letztendlich waren alle sieben Künste Werkzeuge zur Erlangung von Wissen und Weisheit, ein Prinzip, das als Philosophie formalisiert wurde.
Vom Trivium wurde die Dialektik, auch bekannt als Logik, zum wichtigsten Fach. Die dialektische Methode wurde als idealer Weg zur Erkenntnis gelehrt, indem man Aussagen aufstellte und logische Argumente benutzte, um die Aussagen zu unterstützen oder zu widerlegen. Mit der Zeit wurde die dialektische Methode als Hauptmethode für Studium und Lehre eingeführt. Die didaktischen Methoden des Mittelalters basierten auf allen Ebenen in erster Linie auf dem gehörten und gesprochenen Wort. Die Meister (magister) hielten mündliche Vorlesungen über grundlegende Texte, wie die Schriften des Aristoteles über Physik, Metaphysik, Ethik, Wirtschaft und Politik.
Auch wenn die Schriften des Aristoteles eine der wichtigsten Quellen für das Studium an den mittelalterlichen Universitäten waren, wurden natürlich auch andere Autoren diskutiert. Die Werke von Priscian und Quintillian und anderen großen klassischen Grammatikern wurden ebenfalls kommentiert und durch nützliche und praktische Handbücher mit Beispielen oder Übungen ergänzt. Wichtige Texte waren zum Beispiel die Ars Dictandi (über das Verfassen aller Arten von juristischen Dokumenten) und die Ars Epistolandi (über das Schreiben von Briefen).
Nicht nur die Ideen von Aristoteles waren einflussreich, sondern auch sein System der Logik. Die Meister debattierten mit den Studenten (oder ließen die Studenten untereinander debattieren) über die Auslegung dieser Texte. Diese Debatten waren nach dem aristotelischen System der Logik aufgebaut: Die Teilnehmer stützten sich auf Aussagen von Autoritäten wie der Bibel, den Kirchenvätern, Aristoteles und anderen, um ihre Positionen in den Debatten zu stützen. Die Vorlesungen und Debatten wurden in lateinischer Sprache gehalten.
Aristoteles hält eine Vorlesung vor Studenten
Lorenzo de Voltolina (zweite Hälfte 14. Jahrhundert)
Obwohl die Vorlesungen mündlich gehalten wurden, fanden viele ihren Weg in die Schriftform. Die Studenten konnten ihre Kursnotizen zu einem vollständigen Text umarbeiten, oder der Meister selbst konnte sie niederschreiben. Solche Texte wurden als Kommentare bezeichnet und hießen oft Lectura (Vorlesung), Questiones (Fragen) oder Expositio (Erläuterung), gefolgt vom Namen des Werks, über das sie geschrieben wurden. Das nebenstehende Manuskript, beispielsweise, ist als Lectura super Aristotelis Metaphysicam (Vorlesung über die Metaphysik des Aristoteles) von Petrus von Przemyslavia bekannt.
Diese Texte wollten nicht den Eindruck erwecken, als ob sie sich auf objektives, kanonisches Wissen stützten. Viele dieser Kommentare waren als Fragen und Diskussionen gestaltet, die unterschiedliche Meinungen zuließen. Da sich das mittelalterliche Leben und die Realität deutlich von der Zeit des Aristoteles unterschieden, handelte es sich nicht um bloße Erläuterungen der Ideen des Aristoteles, sondern um aristotelische Ausarbeitungen zu modernen (und christlichen) Themen. Das Ergebnis waren oft Texte, die wie Kommentare aussahen, aber mehr oder weniger unabhängige Abhandlungen waren.
Nach dem Höhepunkt der Scholastik, zwischen der ersten Hälfte des 13. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts, entwickelten sich einige dieser Kommentare zu völlig eigenständigen Abhandlungen. Viele Kommentare kamen zu völlig neuen Ideen und lösten daher oft heftige Debatten aus. So übersetzte beispielsweise der französische Gelehrte Nikolaus von Oresme (Darstellung links) im 14. Jahrhundert Aristoteles’ Politica ins Mittelfranzösische und plädierte in seinen Anmerkungen für die Monarchie als ideale Regierungsform. Dies steht im Widerspruch zum ursprünglichen aristotelischen Denken, in dem die Demokratie höher bewertet wurde.
Da die dialektische Methode in fast allen Unterrichtsformen angewandt wurde, bestand das Leben an der Fakultät der Künste weitgehend aus Diskussionen über aristotelische Themen. Der Philosoph (wie Aristoteles in scholastischen Texten gewöhnlich genannt wird) genoss ein so hohes Ansehen, dass im Laufe der Zeit zu den sieben freien Künsten drei weitere Bereiche hinzukamen, die alle aus seinen Werken stammen: Naturphilosophie, Metaphysik und Ethik. Die Naturphilosophie berührte fast alle Bereiche des menschlichen Wissens, also das, was wir heute als Biologie, Kosmologie oder Psychologie bezeichnen würden.
Heutzutage ist man natürlich nicht mehr verpflichtet, an der Artistenfakultät zu studieren, bevor man etwas anderes studieren kann. Aber fast alle Universitäten haben sich um die Philosophische Fakultät herum entwickelt, und viele von ihnen haben die Künste immer noch in ihrem Kern.
Text: Zdeněk Uhlíř, Nationalbibliothek der Tschechischen Republik (Übersetzung: Klaus Fürst) Lizenz CC0 1.0 (public domain)