

Gut hundert Jahre vor den Idealisten wirkte in Jena eine der faszinierendsten Gestalten der frühen Aufklärung: Erhard Weigel.
Geboren 1625 in Weiden (Oberpfalz), kam er 1653 nach Jena, wo er vier Jahrzehnte als Hochschullehrer tätig war. Als Mathematiker, Astronom, Pädagoge und Philosoph prägte Weigel eine ganze Generation von Studierenden.
Es war eine Zeit, in der traditionelle scholastische Denkweisen mit neuen naturwissenschaftlichen Methoden konkurrierten. In diesem Spannungsfeld entwickelte Weigel sowohl ein eigenständiges philosophisches Programm als auch neue Formen universitärer Lehre.
Philosophisch stand er einer rationalistischen Erkenntnisauffassung nahe, ohne sich vollständig der Linie von Descartes anzuschließen. Er suchte nach einer universellen Ordnung, die im Aufbau der Welt ebenso erkennbar sein sollte wie in der Struktur menschlichen Denkens. Zentral war dabei die Idee, dass mathematische Prinzipien nicht bloß Werkzeuge zur Beschreibung der Natur sind, sondern selbst fundamentale Eigenschaften der Schöpfung ausdrücken. Für Weigel war die Mathematik somit eine Art „lingua naturalis“, die den göttlichen Bauplan der Welt sichtbar mache. Aus dieser Überzeugung heraus entwickelte er eine systematisch geordnete Moralphilosophie, in der die Begriffe Ordnung, Maß und Harmonie zentrale Rollen spielen. Moralisches Handeln bedeutete für ihn, das eigene Leben in Übereinstimmung mit der rationalen Struktur der Welt zu bringen.
Weigels philosophisches Projekt war eng mit seinem pädagogischen Anspruch verknüpft. Als leidenschaftlicher Lehrer, der sich gegen rein rezeptives Lernen wandte, wollte er seine Studierenden zu aktivem, methodisch geleitetem Denken befähigen. Er entwarf verschiedene didaktische Modelle, darunter visuelle Darstellungen logischer und mathematischer Zusammenhänge, und arbeitete mit Lehrinstrumenten, die das abstrakte Denken anschaulicher machen sollten. Er entwickelte geometrische Anschauungsmittel und Geräte, mit denen sich die Prinzipien der Vermessung und der Himmelsbeobachtung demonstrieren ließen, so ein sechs Meter große, begehbarer Himmelsglobus auf dem Jenaer Schloss.

Die Universität Jena bot Weigel einen fruchtbaren Boden für seinen interdisziplinären Ansatz. Er unterrichtete Mathematik, Astronomie, Philosophie, Ethik, Logik und gelegentlich auch Theologie. Seine Vorlesungen erfreuten sich in ganz Europa eines hervorragenden Rufes, und zahlreiche spätere Gelehrte – darunter auch sein Schüler Gottfried Wilhelm Leibniz – wurden durch seine Denkweise beeinflusst. Weigels Ziel war es, die Kluft zwischen spekulativer Philosophie und praktischer Naturforschung zu überwinden. In einer Zeit, in der sich die moderne Wissenschaft erst zu formieren begann, betonte er die methodische Einheit aller Wissensgebiete, das Ideal einer pansophischen Universalwissenschaft.


Friedrich Hölderlin (1770-1843) ist als einer der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit bekannt. Sein Beitrag zum Frühidealismus ist von großer, lange Zeit unterschätzter Bedeutung. Er prägte diesen Abschnitt der Philosophie maßgeblich, nicht nur durch seine enge Verbindung zu Hegel und Schelling, mit denen er während des Studiums zusammen im Tübinger Stift wohnte, sondern vor allem durch eine eigenständige philosophische Konzeption.
Seine zentrale philosophische Position kann mit dem All-Einheits-Gedanken oder dem ästhetischen Pantheismus umschrieben werden. Dieser Gedanke drückt das Sehnen nach der Einheit von Mensch und Natur (oder Gottheit) aus. Hölderlin sah in der Zerrissenheit der modernen Welt die Hauptursache menschlichen Leidens. Die berühmte Formel aus seinem Roman „Hyperion“ fasst dies zusammen:
Eines zu sein mit allem, das ist Leben der Gottheit,
das ist der Himmel des Menschen.

Hölderlins Frühidealismus suchte nach einer ästhetischen Vermittlung zwischen dem endlichen Subjekt (dem Menschen) und dem unendlichen Objekt (der Natur/dem Sein), um die von Kant konstatierte Trennung zu überwinden. Im Gegensatz zu Fichtes radikalem Ich-Standpunkt betonte Hölderlin die Priorität des Seins und die Notwendigkeit der Anschauung des Ganzen durch die Kunst (Poesie). Der Dichter wird damit zum Priester und Seher, der die Einheit im Zeichen der Schönheit und Harmonie wieder erfahrbar macht.
Sein Werk, insbesondere die Gedichte und der Roman „Hyperion“, dienten als poetische Entwürfe für diese philosophische Forderung nach Ganzheit und Harmonie im Sinne der antiken Idealvorstellung. Damit beförderte Hölderlin die Wende des Idealismus hin zum Spekulativen.


Friedrich Schlegel verband die Theorien des Jenaer Idealismus, insbesondere die Philosophie von Fichte und Schelling, auf fundamentale Weise mit den Ideen der Romantik. Er tat dies, indem er zentrale idealistische Konzepte in die Ästhetik und die Theorie der Dichtung der Frühromantik übertrug.
Die Idealisten strebten danach, das Absolute (das Unbedingte, das Ganze der Wirklichkeit) gedanklich zu erfassen. Schlegel übertrug dieses metaphysische Streben auf die Kunst. Die romantische Poesie wird zur „progressiven Universalpoesie“, deren Bestimmung es ist, sich ewig zu vollenden, aber nie abgeschlossen zu sein. Sie ist ein „unendlicher Werdensprozess“, der das Endliche zum Unendlichen erheben soll.
Nur durch Beziehung aufs Unendliche entsteht Gehalt und Nutzen;
was sich nicht darauf bezieht, ist schlechthin leer und unnütz.
„Ideen“ (1800)
Fichtes Philosophie des transzendentalen Ichs sah das Ich als den Ursprung aller Realität und allen Wissens. Die Romantik, insbesondere bei Schlegel, radikalisierte dies zum ästhetischen Subjektivismus. Das künstlerische Subjekt (der Dichter) wird zum Schöpfer, der durch seine Fantasie und Einbildungskraft die Wirklichkeit im Sinne des Ideals transformiert. Die Kunst wird ein Projektionsraum innerer Empfindungen.
Schelling sah in der Natur und dem Geist zwei Seiten des Absoluten, die in der Kunst zur Anschauung kommen. Schlegel forderte die Vereinigung aller Bereiche in der Poesie, insbesondere die Verbindung von Poesie, Philosophie und Rhetorik, aber auch die Zusammenführung aller getrennten literarischen Gattungen. Diese Tendenz zur Synthese und Universalität ist ein direkter Widerhall der idealistischen Suche nach dem Ganzen.
Schlegel prägte auch den Begriff der Symphilosophie (Zusammenphilosophieren), der die Notwendigkeit des gemeinschaftlichen philosophischen und literarischen Austauschs betonte. Die enge, diskussionsfreudige Gemeinschaft der Jenaer Frühromantiker um die Gebrüder Schlegel, Novalis und Schelling in Jena war der praktische Ausdruck dieser Verknüpfung von Philosophie und Dichtung im gemeinsamen Schaffen.
Dass nicht alle von dieser neuen Strömung begeistert waren, zeigt der folgende Brief von Friedrich Schiller.



Die Initialzündung für diese goldene Ära in Jena war die unerwartete Berufung Johann Gottlieb Fichtes im Mai 1794 auf den Lehrstuhl für Philosophie, der zuvor von dem renommierten Kant-Interpreten Karl Leonhard Reinhold besetzt war. Fichtes Antritt war nicht nur ein akademisches Ereignis, sondern eine intellektuelle Revolution.
Fichte etablierte sich rasch als Speerspitze der neuen philosophischen Strömung. Anders als Kant betonte er nicht nur die Grenzen der Vernunft, sondern hob die aktive, schöpferische Kraft des Subjekts hervor. Im Zentrum seiner Jenaer Tätigkeit stand die Ausarbeitung und Verbreitung seiner fundamentalen erkenntnistheoretischen Schrift, der „Wissenschaftslehre“. In diesem Werk stellte Fichte das Primat des Ich auf und begründete damit das systematische Programm des Deutschen Idealismus.

Durch seine radikalen Positionen und die Betonung der schöpferischen Freiheit des Subjekts zog Fichte einen Kreis junger, engagierter Studenten und Intellektueller an, darunter Friedrich Hölderlin, der 1795 in Jena studierte. Fichtes radikaler Idealismus wurde schnell zum Synonym für die intellektuelle Liberalität Jenas, geriet jedoch in Konflikt mit den konservativen politischen Mächten. Seine Amtszeit fand 1799 ein abruptes Ende im Atheismusstreit. Ausgelöst durch seine Abhandlung „Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung“ von 1798 sah er sich dem Vorwurf des Atheismus ausgesetzt. Fichtes Sturz markierte das Ende der progressivsten Phase der Jenaer Universität und die Grenzen der akademischen Freiheit in der Ära der Spätaufklärung.
Fichte musste Jena verlassen, aber er hatte das Feld für die nachfolgenden Systemdenker bereitet, die den Idealismus zu seinem Abschluss führen sollten.
Ein philosophisches Porträt von Johann Gottlieb Fichte findest du in unserer Ruhmeshalle.


Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (ca. 1798–1803) lehrte zeitgleich mit Fichte und später mit Hegel. Als Mitbegründer der Naturphilosophie und als zentrale Figur der Jenaer Romantik spielte Schelling eine entscheidende Rolle. Seine Zeit in Jena war von Kreativität und von der engen Zusammenarbeit mit seinen Kollegen geprägt, die den Idealismus mit den aufkommenden ästhetischen und literarischen Strömungen verknüpften.
Schelling traf 1798, im Alter von nur 23 Jahren, als außerordentlicher Professor der Philosophie in Jena ein, berufen auf Betreiben von Goethe. Er entfaltete eine glanzvolle Wirksamkeit und etablierte sich rasch als führender Kopf des Deutschen Idealismus nach dem Weggang Fichtes.

Schellings Jenaer Zeit ist die Phase der Transzendental- und Naturphilosophie. Er versuchte, die Natur und den Geist als zwei Pole des Absoluten zu begreifen und deren Identität aufzuzeigen. Die Natur wird dabei als ein „immer werdendes Produkt“ gesehen – ein Prozess der Selbstwerdung Gottes vom Unvollkommeneren (Natur) zum Vollkommeneren (Geist). Diese dynamische Sichtweise beeinflusste stark die Frühromantiker um Friedrich Schlegel, zu deren Kreis er gehörte.
Schellings Philosophie gilt als Verbindungsglied zwischen der Philosophie Kants, Fichtes und Hegels. Gemeinsam mit Hegel gab er das „Kritische Journal der Philosophie“ heraus.
Schelling verließ Jena 1803, als er einen Ruf an die Universität Würzburg annahm. Sein Weggang markierte das Ende der kurzen, intensiven Blütezeit des Jenaer Idealismus.


Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1801–1806) kam 1801 nach Jena, um sich als Privatdozent zu habilitieren. Seine Jenaer Jahre sind durch eine Reihe von systematischen Entwürfen gekennzeichnet, in denen er sein philosophisches System aufbaut.
Hegel arbeitete eng mit seinem ehemaligen Studienfreund Schelling zusammen. Sie gaben gemeinsam das „Kritische Journal der Philosophie“ (1802–1803) heraus, das als Organ zur Abgrenzung vom älteren Idealisten Fichte und zur Etablierung ihrer eigenen Positionen diente. In dieser Zeit entwickelte Hegel seine frühen Systemkonzepte der Logik, Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes.

Die Fertigstellung seines Hauptwerkes „Phänomenologie des Geistes“ fiel exakt mit einem weltgeschichtlichen Wendepunkt zusammen: Hegel beendete diese Arbeit im Oktober 1806 inmitten des Donners der Kanonen während der Schlacht von Jena und Auerstedt. Diese zufällige Koinzidenz – der Abschluss des philosophischen Systems in einem Moment des Zusammenbruchs der alten politischen Ordnung – wurde von Hegel selbst als Manifestation des Weltgeistes interpretiert und verdeutlichte die enge Verbindung des Jenaer Idealismus mit dem revolutionären Zeitgeist. Allerdings wurde nach dem Sieg Napoleons die Universität geschlossen, was Hegel den weiteren Verbleib in Jena unmöglich machte.
Ein philosophisches Porträt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel findest du in unserer Ruhmeshalle.